Die Streckgrenze Re, englisch yield strength, kennzeichnet bei einem Werkstoff die Spannung, bis zu der bei momentenfreier und einachsiger Zugbelastung der Werkstoff keinerlei bleibende plastische Verformungen aufweist. Das bedeutet, dass sich das jeweilige Werkstück zwar verformt, doch nach dem Zurücknehmen der Belastung wieder in die ursprüngliche Form zurückkehrt. Die Verformung bleibt hier reversibel bzw. elastisch.
Die Streckgrenze ist eine fließende Grenze. Wird sie überschritten, ergibt sich eine bleibende Probenverlängerung - nach Entlastung kehrt das Material nicht in die vormalige Form zurück.
Gewöhnlich wird durch einen Zugversuch die Streckgrenze für den jeweiligen Werkstoff ermittelt. Das Streckgrenzenverhältnis wird in der Werkstoffkunde durch die Streckgrenze Re und der so ebenfalls gewonnenen Zugfestigkeit Rm berechnet als Re/Rm.
Der Konstrukteur erhält hierdurch Auskunft über die Spanne zwischen zu erwartender plastischer Verformung und einem Werkstoffversagen bei statischer Beanspruchung. Es zeigen sich bei den meisten Werkstoffen sogenannte Streckgrenzeffekte. Der Zugversuch ermittelt oft keine eindeutige Streckgrenze. In diesen Fällen nimmt man Dehngrenzen mit 0,2% an (Rp0,2).
Die ausgeprägte Streckgrenze
Fremdatomwolken, auch Cottrellwolken, positionieren sich am häufigsten in den energetisch günstigsten Verzerrungsfeldern rund um Versetzungen und können die Ausbildung einer ausgeprägten Streckgrenze bewirken, die Lüdersdehnung, sowie eine obere und untere Streckgrenze ReH und ReL.
Streckgrenzeneffekte treten auf bei Aluminiumlegierungen, Kupferlegierungen und bei niedrig- bzw. unlegierten untereutektoiden Stahlarten.
Ein Beispiel für eine ausgeprägte Streckgrenze findet man im Diagramm unten. Hier handelt es sich um das Spannungs-Dehnungs-Diagramm von Stahl.
Obere Streckgrenze
Eine obere Streckgrenze, mit ReH bezeichnet, definiert sich durch Losreißprozesse, wenn sich interstitielle Fremdatomwolke absetzen. Hierauf erreicht die Spannung des Werkstoffs eine untere Streckgrenze ReL, wobei sich dann Verformungen gemäß der sogenannten Lüdersdehnung weiter entwickeln. Solche Effekte sind aber nur bei unlegiertem Stahl mit einem niedrigen Kohlenstoffgehalt zu beobachten.
Untere Streckgrenze
Eine untere Streckgrenze ReL definiert sich durch das Losreißen bei Versetzungen von Cottrellwolken bei ReH. Für diese Versetzungen wird viel weniger Energie benötigt, da sich in dem Verzerrungsbereich von Versetzungen keine Fremdatomwolken befinden. Ein solcher Effekt wird definiert in der Werkstoffkunde als die Streckgrenze (oberer Grenzwert) und wird die Nennspannung genannt, bei der die sogenannte Lüdersdehnung zu beobachten ist.
Lüdersdehnung
Durch die Bewegung einer Versetzungsfront kann unter konstanter Beanspruchung ein plastischer Dehnungsanteil entstehen. Diese Dehnung wird als Lüdersdehnung (εL bzw. AL) bezeichnet.
Die Nennspannung bleibt während der Lüdersdehnung in etwa konstant im Bereich der unteren Streckgrenze ReL und ist dabei unabhängig vom Auftreten einer oberen Streckgrenze. Häufig tritt diese Art der plastischen Verformung aufgrund einer lokalen Spannungsüberhöhung auf, wie es bei Kerben oder rauen Oberflächen der Fall ist.
Dehngrenze / Ersatzstreckgrenze
Bei der bereits erwähnten 0,2-%-Dehngrenze handelt es sich um die mechanische Spannung, bei der eine bleibende Dehnung um exakt 0,2% verursacht wird. Oft wird bei Werkstoffen diese 0,2-%-Dehngrenze anstatt der Streckgrenze angegeben, da sie stets eindeutig aus dem Spannungs-Dehnungs-Diagramm herausgelesen werden kann (was bei der Streckgrenze nicht immer der Fall ist).